Herr Brown
An irgendeinem Montag im Jahre 1967. Der Ort ist ein Manhattener Wolkenkratzer. In der Lobby vor dem Fahrstuhl wartet Herr Robert L. Matterson, unter seinem linken Arm ist die heutige Ausgabe der Times: "Wir fahren zum Mond!"
Die prahlend aufgeblasenen Kronleuchter hängen von der Decke hell herab wie tausend winzige Sonnen.
Mit seiner rechten Hand hält er die Hand Grace Banks' fest, er grüßt jeden und grinst als hätte er heute Morgen zwei Millionen Dollar im Lotto gewonnen.
Der Fahrstuhl kommt, die Tür geht auf, Männer in Anzügen und Krawatten steigen aus, alle grüßen sich gegenseitig mit leicht überzogenem Nicken oder mit kurzer Hebung des einzelnen Hutes. Neben dem Schalter im Fahrstuhl steht Jeremiah Charley Brown. Er grüßt Herrn Matterson.
"Herr Matterson! Guten Morgen."
"Bobby! Nur Bobby, Jeremy! Wir haben darüber gesprochen, oder?"
Jeremiah nickt leicht lächelnd.
"Hier, das ist meine Freundin Grace. Grace, das ist Jeremy, ich habe dir von ihm erzählt."
Jeremiah nickt wieder einmal. Grace auch.
"Haben Sie die Nachricht über die NASA gelesen, Herr Matterson? Der Mond? Ist das realistisch?"
"Ich halte das nur für Propaganda, die Soviets haben das All schon erobert, also muss die Regierung irgendetwas tun. In dem Fall etwas sagen. Jeder kann etwas sagen, weißt du?"
Jeremiah fühlt sich beim Duzen unwohl, er kennt zwar Herr Matterson seitdem er hier als Aufzugsjunge angefangen hat, also seit gut acht Monaten, Herr Matterson war immer nett zu ihm, er hat ihn sogar ab dem ersten Tag gegrüßt, nicht wie alle anderen, dieses Duzen aber ist neu, seitdem sieht Herr Matterson besonders froh aus. Irgendetwas ist passiert. Vielleicht seit er wieder eine Freundin hat, die Grace, ah, es muss die Grace sein. Sie ist auch eine Schwarze aus einem Vorort von New Orleans. Sie kann also wirklich der Grund sein.
Nach zwei weiteren Etagen steigen weitere Herrschaften aus der Finanzabteilung ein. Alle grüßen Herrn Matterson, Jeremiah grüßt jeden beim Namen, ihm nicken sie höchstens zu.
31. Stock, alle steigen aus, auch Herr Matterson und Grace Banks. Er grüßt Jeremiah mit seinem Vornamen auf Wiedersehen, er denkt, er hätte der Welt was Gutes getan. Er war gerade besonders gut und besonders höflich, nicht wie all die anderen Rassisten und patriarchalen Wichser.
Jeremiah fährt wieder nach unten und wundert sich, wie Grace aus New Orleans in New York mit einem Herrn Matterson zusammen sein kann, und wünscht sich beim Nachnamen, wie jeder andere, angesprochen und gegrüßt zu werden. Er wollte "Herr Brown!" einmal hören.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen