Sag Bescheid, wenn du mich liebst
Katzenliebe ist die einzige Liebe, die mein verqueres Gehirn versteht und erwidern kann. Irgendetwas mit Kindheitstraumata, denke ich.
Das ruft die dauermüde Katzenmutter in mir jedesmal, in dem ich sie erblicke, hervor.
Das Haus gegenüber meinem friedlichen Häuschen am Rande der Stadt steht schon lange frei. Eines späten Nachmittags, als ich meinen Feierabend-Joint rauchte, kroch eine Katze aus dem kleinen Loch an der unteren Seite der grünen und brüchigen Tür des Nachbarn und gleich sieben kleine Babykatzen ihr hinterher. In meinem bekifften Kopf dachte ich, ich hätte wieder einmal zu viel geraucht und sprang hastig auf und blieb stehen. Die Katzenmutter fauchte leise und müde, jedoch rannten alle Katzenbabys ängstlich wieder durch das halb angeschlagene Türloch zurück.
Es dauerte eine Woche, bis sich die Mutter und ihre Babys an mich gewöhnt haben. Nicht nur die Zeit heilte ihre durch mich entstandenen Angstwunden, sondern auch viel Katzenfutter von der guten Sorte. Zumindest glaube ich, dass die Sorte einem Feinkost der Menschenwelt ähnelt; ich lese immerhin “Gourmet” auf der Packung.
Jeden Morgen stehe ich auf und mache mir einen Kaffee in der hellgrünen French-Press, schalte den Arbeitslaptop an und schreibe in meiner Teamgruppe “morning all”. Dann öffne ich meine Häuschentür und raschele eifrig an der Futtertüte. Alsbald kriechen die Babys aus dem Türloch des Nachbarn und fangen erstmal ihre täglichen Yoga Rituale vor mir gähnend und leicht genervt an, dass ich das Gefühl bekomme, dass ich schuld daran bin, sie so früh aufzuwecken.
Am Sonntag fütterte ich die Katzen etwas später, kurz vor Mittag. Die Yoga Rituale nach dem Tüten-Rascheln waren immer noch dieselben des jeden Morgens. Das Gähnen, die schuldzuweisenden Blicke, die etwas distanzierten Schritte in meine Richtung, das darauffolgende etwas arrogante Wegschauen waren immer noch dieselben des jeden Morgens. Diese ist eine Sprache, die ich fließend spreche. Ich schaue die Katzenmutter mit halbgesinkten Blick an und blinzele langsam und lang. Sie erwidert: “Ich mag dich, Mensch!”.
“Ja, ich mag dich auch, Katzenmutter.”
Eine behaglich elende portugiesische Seemannsromantik von zwei verödeten Landsäugetierchen.
Es kostete mich 37 volle Jahre, um herauszufinden, dass ich nur diese Art von Liebe kenne und verstehe und erwidern kann. Eine Entdeckung, für die ich einen alternativen Nobelpreis verdient habe. Den Aha-Moment, als mir das klar war, kann ich, ohne überheblich zu erscheinen, mit dem ersten Fußstampfen auf die staubige und dunkle Mondoberfläche vergleichen.
Anna schrieb gegen Mittag, ob ich schon wach bin. Ich antwortete schnell mit ja, aber ich bräuchte gute drei Stunden, bis ich fertig werde.
“Falls du noch in Alcântara bist, kann ich später den Hügel hochlaufen und dich irgendwo treffen. Dann laufen wir gemeinsam zum Boot." -schrieb ich darauf.
"Jein! Also ich bin noch Zuhause, ja, aber ich fahre mit dem Scooter. Komm du zum Bogen da oben. Ich werde auf dich da warten, dann fahren wir zusammen.” -antwortete sie.
“Lass doch den Scooter Zuhause, wir werden eh viel trinken.” -erwiderte ich.
“Bitte nicht diese sinnlose Diskussion wieder!”
“Schau mal…” -antwortete ich schnell.. “Nach der Party auf dem Boot, werden wir zum Kebabladen an der Ecke der Rua Luís de Camões spazieren, bestellen dann zwei Bierchen und taumeln halb müde, halbtot durch die beleuchtete Alcântara. Die lilanen Jacarandas, obwohl sie längst nicht mehr blühen, werden mit ihrem Duft unseren Schweiß überdecken und du wirst mich tadeln, dass ich daran schuld bin, dass wir wieder so lange nach Hause laufen müssen und es wäre besser gewesen, ich hätte auf dich auch wieder einmal gehört und den Scooter doch mitgenommen. Ich werde dir natürlich Recht geben, während wir den Hügel bedächtig hochschnecken. Jedoch dieser Abend wird anders; es wird auf uns warm spätsommerlich nieseln, wir werden die lissabonische mit Wehmut getränkte Erde gemeinsam aufatmen und uns wird das Bier zum allerersten mal übersinnlich schmecken, ehe wir uns trennen.” -schrieb ich.
“Was sagst du dazu?”
“Wusste nicht, dass du ein Poet bist, das war echt wunderbar!” -antwortete sie.
“Eigentlich ist das eher Prosa.”
“Ok!” -schrieb sie.
“Nein, ich fahre mit dem Scooter. Wirst du nun um drei Uhr zwanzig am Bogen oben sein?” -fragte sie.
“Ja narürlich.”
“Nein.. Nein.. Nein!” -diskutierte ich auf dem Bogen von Alcântara mit mir selbst darüber, ob ich doch Gefühle für Anna habe. “Dir geht’s gerade gut, warum willst du das ändern? Alles, was du brauchst, ist nur eine Katze. Ihr schaut euch an, um Liebe und Geborgenheit zum Ausdruck zu bringen. Ihr seid beide immer distanziert und eine Geste, wie langsam kurz über die Haare streicheln, bedeutet für euch die Welt. Ihr könnt nicht mehr als das geben. Ihr könnt auch nicht mehr als das ertragen.”
“Ja! verdammte Scheiße! Ich weiß das allzu genau.”
“Aber?”
“Aber, ich mag Anna.”
“Glaube ich zumindest”
“Ach, Mann. Ich weiß es nicht”
Und da rollte sie fröhlich mit ihrem alten und wie eine Bohrmaschine aus den 1960ern vibrierenden Scooter.
Sie warf mir den Schlüssel und ich machte den Kastenkoffer auf und holte mir den weißen Helm mit den Tricolori d'Italia heraus.
Wir fuhren durch Alcântara und ich bereitete meine Arme weit aus. Hinter ihr fühlte ich mich wie Rose vor Jack am hinteren Teil der unsinkbaren Lady, die in ihrer ersten Reise sank.
“I’m the king of the world!” von ihr gerufen, fehlte, damit der Tag seine melancholisch kitschige Natur erfüllt.
Am Boot trank ich und tanzte ich und lachte ich, und baute ich eine umhüllende Fantasie um uns, in der ich nur sie sah. Meine Freude eilte mir voraus, sprang und umarmte sie, als wir unter der roten Brücke, an deren Ecke Jesus uns zunickte, weiterschifften.
Ich suchte ihren Blick. Den einen Blick, der alles sagt, den Blick, der ein kleines, illuminiertes Fenster zur Seele öffnet, den Blick der unschuldigen Begierde. Den Blick, der eine lange Odyssee startet, den Blick der lautlosen Wörter der Herzenshingabe. Und den Blick, der auch jede Hoffnung wehleidig beendet.
Stattdessen begnügte ich mich mit dem Anblick ihrer reizvoll wehenden Haare und beneidete den frischen Atlantikwind dafür, dass er ihr berückendes Antlitz streicheln durfte.
Wir tauschten die Glitzer auf unseren Wangen lachend, als wäre das das Letzte, was wir an diesem Abend tauschen werden.
Alle tanzten sehr fröhlich zum Technobass hin, riefen rhythmisch mit, und sprangen unermüdet umher, das Boot taumelte ausgelassen mit der Melodie aus den schwarz gekleideten Boxen und Lissabon winkte uns von der Seite liebevoll zu.
Auf dem Weg zurück in den Hafen stand ich lange vor dem Bass, ziemlich high, happy mit der Musik und frustriert, dass ich mich selbst blockiere und dachte an die Katze des Nachbarn.
Wir schifften wieder unter die Brücke Ponte 25 de Abril und ihre furchterregenden Ansehen und Größe verzwergten mich, sodass meine Sorgen und Probleme noch kleiner erschienen. Ich blickte nach hinten und sah Anna ihre Telefonnummer mit einem jungen Mann austauschen.
“Scheiße, ne?”
“Ja”
“Also, glaubst du mir jetzt, wenn ich sage, dass ich sie mag”
“Ja, schon. Ich fühle es ja auch”
“Gut!” … “Zumindest sind wir jetzt auf derselben Wellenlänge”
Das Boot legte am Kai an. Wir stiegen aus und Anna fragte mich verlegen, ob ich den Bus nach Hause nehme.
Ich sagte ja. Ich sah den jungen Mann etwas ferner von uns wartend.
“Der Abend war toll” -sagte ich
“Ja, voll schön”
“Erinnerst du dich daran, wie wir im Team-Meeting eine peinliche Geschichte aus unserer Vergangenheit erzählen mussten?” -fragte ich sie
“Ja” -antwortete sie mit etwas fragendem Gesicht
“Dies hier ist noch eine..” -sagte ich, bevor ich fortfuhr..
“Ich weiß nicht, was ich sagen soll” -antwortete sie nach mehrmaligem Zögern.
“Das habe ich jetzt von dir nicht erwartet, ich meine, ich mag dich nur als Kollege und Freund.” -erläuterte sie.
“Ich weiß, ich weiß” -erwiderte ich. “Bis heute habe ich das gut blockiert. Aber hey, keine Sorge, ich versichere dir, es wird nie peinlich im Büro zwischen uns. Wir Menschen haben ja zwei Ohren, einmal rein, einmal raus.”
“Nein, warte. Das muss ich überdenken.” -sagte sie sichtlich irritiert. "Ich kann gerade gar nicht denken."
“Es ist in Ordnung, wirklich. Das musste ich dir beichten, sonst würde ich daran hyperfixiert und es wird dann zum Problem für mich selbst. Ich weiß auch, dass das eher egoistisch ist von mir, dir so etwas zu sagen.” -sagte ich und bewegte mich ruckartig an sie heran und umarmte sie. Ich gab ihr noch einen Wangenkuss und verabschiedete mich.
Ich lief unter der Brücke auf dem Weg nach Hause unentwegt und glücklich aufgeregt, meine Fantasie-Hülle war endlich geplatzt, leise und unbemerkt. Meine bittere Traurigkeit schmeckte jedoch beim Hochschauen zur Brücke süßlich-herb und ich wurde wieder klein, doch zufrieden mit mir selbst. Ich pfeifte noch “Sag Bescheid, wenn du mich liebst” vor mich hin und dachte an die Katze des Nachbarn.
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